»Zu philosophieren ist der Versuch, sich in der Welt zurechtzufinden – Orientierung aber braucht Geländekenntnis.«

Philosophie steht für mich nicht abseits vom alltäglichen Leben oder gar im Gegensatz dazu. Als Projekt der kritischen Reflexion ist sie ganz wesentlich auch eine orientierende Praxis: Zu philosophieren ist der Versuch, sich in der Welt zurechtzufinden – Orientierung aber braucht Geländekenntnis. Daher ist der Erfahrungsbezug zentral: Philosophie muss bei konkreten Erfahrungen ansetzen und an diese zurückgebunden werden. Sie findet nicht im luftleeren Raum statt, und selbst da, wo sie sich in schwindelerregende Höhen begibt, gilt es, das gelebte Leben nicht aus dem Blick zu verlieren.

Philosophische Praxis zielt darauf, das, was ist, kritisch zu befragen und so neue Erfahrungsräume zu erschließen. Das gemeinsame Philosophieren, sei es im Rahmen eines Workshops, einer Performance oder eines Gesprächs, soll dazu anregen, die eigenen Überzeugungen, Haltungen und Gewohnheiten zu prüfen. Wovon lasse ich mich leiten? Wo haben sich Strukturen festgesetzt, die eher hinderlich oder gar schädigend sind? Wie lassen sich lähmende Konstellationen überwinden?

Dabei geht es nicht etwa darum, vorgefertigte Antworten zu liefern, „Rezepte“ für ein gelingendes Leben oder ein gutes gesellschaftliches Miteinander, sondern Alternativen experimentell zu erproben, auszuloten, einzuüben. Philosophische Praxis möchte Menschen zum Selberdenken befähigen und somit einen Beitrag zur (Selbst-)Aufklärung leisten. Sie baut dabei auf die Expertise professioneller Philosoph*innen, jedoch ohne zu vergessen, dass jede*r selbst Expert*in für das eigene Leben ist.

Als philosophische Praktikerin gehe ich davon aus, dass es eine gewisse Beweglichkeit und Offenheit nicht nur im Philosophieren braucht, sondern auch durch das Philosophieren hervorgebracht werden kann. Insofern setzt philosophische Praxis auch auf Interventionen und Irritationen: Stolpern und Innehalten werden als Gelegenheiten zur Reflexion verstanden, als Momente, in denen es gelingen kann, innezuhalten und auf Distanz zum Gegebenen zu gehen. In diesen Zwischenräumen kann Philosophie dynamisierend wirken und Zweifel produktiv werden lassen.

Die Formen, die philosophische Praxis annehmen kann, sind sehr vielfältig und ganz unterschiedlich zugeschnitten. Ein Feld, auf dem die Orientierungsleistung philosophischen Denkens unmittelbar praktisch werden kann, ist z. B. die philosophische (Lebens-)Beratung. Philosoph*innen, so glaube ich, können hier an eine lange philosophische Tradition anknüpfen und ihre besonderen Kompetenzen in der „Hebammenkunst“ fruchtbar machen. 2009/10 habe ich mich daher als philosophische Beraterin weiterbilden lassen. Die philosophische Beratung setzt da an, wo Menschen das Gefühl haben, in ihrem Leben nicht mehr weiter zu wissen und sie das Gewohnte nicht mehr weiterträgt, sie also in einer problematischen Situation Unterstützung suchen. Philosophische Praxis wird dann zu einer Art „säkularer Seelsorge“: Das gemeinsame Philosophieren findet im geschützten Raum statt und orientiert sich an den individuellen Bedürfnissen der Klient*innen.

Gewissermaßen am entgegengesetzten Pol philosophischer Praxis engagiere ich mich aber auch in Formaten, die sich an eine breite, interessierte Öffentlichkeit wenden. Bei einer solchen public philosophy geht es mir nicht in erster Linie um die Aufbereitung und Vermittlung von fachlichen Inhalten, sondern auch darum, das zeitdiagnostische und kritische Potential von Philosophie wirksam werden zu lassen. Ich schreibe Zeitungsartikel und Blogbeiträge, halte öffentliche Vorträge und organisiere Veranstaltungen wie z.B. Philosophische Cafés, die zum Mit-Philosophieren einladen. Unter anderem bin ich seit 2017 Mitglied des Projektteams „Junge Philosophie“, einer Kooperation des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover, der Landeshauptstadt Hannover (Büro Wissenschaftsstadt) und des Ratsgymnasiums Stadthagen. Die Veranstaltungen der Reihe bringen Künstler*innen, Aktivist*innen und Philosoph*innen auf der Bühne zusammen, um zur intensiven Auseinandersetzung mit Gegenwartsfragen zu motivieren. In welcher Gesellschaft leben wir? Und wie wollen wir sie in Zukunft angesichts der enormen Herausforderungen, die sich stellen, gestalten?

Hier zeigt sich, dass das gelingende Leben keine rein persönliche Frage ist, sondern die sozialen und politischen Rahmenbedingungen miteinschließt. Sie dürfen nicht ausgeblendet werden, wenn es darum geht, Lebensrealitäten ernst zu nehmen, nicht zuletzt mit Blick auf ihre je eigenen Herausforderungen. Die philosophische Praxis, wie ich sie verstehe, ist also alles andere als ein Luxusprojekt der persönlichen Optimierung: Der Versuch, sich zurechtzufinden ist ein existentielles Anliegen. Die Wege, die wir dabei einschlagen (oder verlassen), berühren das gemeinsam bewohnte Terrain.

Termine

05.10.24 „Die Freiheit, nicht zu verzweifeln - Mensch(lich) sein angesichts der ökologischen Krise“ (Workshop im Rahmen des Festivals „Leipzig denkt“)

05./06.03.2025 „Woher kommt das Böse? (Nachdenken im Kloster, Wennigsen)

23.05.2025 „Was ist Dir heilig?“ (Max-Planck-Gesellschaft-Dialoge, Festival der Philosophie Hannover)

 

 

Vergangene

05.06.24 „Religion und Pluralismus“ (Gesprächsrunde in Kooperation mit der Hochschule für Philosophie München, Salon Luitpold, München)

23.04.24 „Holzweg Hoffnung?“ (Philosophisches Café, Salon Luitpold, München)

18.04.24 „(Un-)Verzichtbar? Zur Bedeutung der Religion für die Demokratie" (Vortrag und Paneldiskussion, Domberg-Akademie Freising)

02.02.24 „Das Anthropozän. Ein Experiment“ (gemeinsam mit Studierenden der LMU München, Salon Luitpold, München)

03./02.03.24 „Ich mach' mir die Welt, wie sie mir gefällt“? Glauben in der Spannung von Hoffnung und Realität (Nachdenken im Kloster, Wennigsen)

08.11.23 Mensch(lich)-Sein im Anthropozän: Erkundungen eines neuen Humanismus (Vortragsreihe Am Puls der Zeit“, Neupfarrkirche Regensburg)

27.04.2023 Nachhaltigkeit und SUVs – (k)ein Widerspruch? (Diskussion im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wie sozial-ökologische Transformation gelingen kann“ (Teil III: Welchen Beitrag leistet die Wirtschaft?), Katholische Akademie im Bistum Magdeburg)

04.11.2022 Das Ende der Natur? (Dialogcafé, Großer Konvent der Schader Stiftung, Darmstadt)

06.02.2022  Sterblichkeit. Ein philosophisches Plädoyer (Lange Nacht der Weltreligionen: Der Traum von der Unsterblichkeit, Thalia-Theater, Hamburg)

20./21.11.2021 Umgang mit Meinungen - nichts leichter als das? (Nachdenken im Kloster, Wennigsen)

11.10.2021 Im Zweifel für den Zweifel? Über Gewissheitssuche und Verschwörungsdenken (Philosophischer Salon Lamspringe)

28.06.2021 Das Klima besprechen, die Krise erzählen (mit Dr. Johannes Müller-Salo), Impulse & Gespräch (Festival der Philosophie Hannover)

15.01.2020 Welchen Regeln Folgen Wir? Über die Digitale Gesellschaft („wortRaum“, Dommuseum Hildesheim)

25./26.11.2019 Public Climate School (Leibniz Universität Hannover)

20.02.2019 Was heißt gutes Leben? (Philosophisches Café, ka:punkt Hannover)

23.01.2019 Wie streite ich – Perspektiven einer politischen Gegnerschaft (gemeinsam mit Prof. Dr. Jürgen Manemann,  „wortRaum“, Dommuseum Hildesheim)

08.11.2018 Zeit und Zeitlichkeit – HipHop und Philosophie, Live-Session mit Philosoph*innen und Rapper*innen (Junge Philosophie, Schauspiel Hannover)

17.10.2018 Zukunft und Geschichte(n) (Philosophisches Café, ka:punkt Hannover)

07.06.2018 Protest und Bewegung. 50 Jahre 68er, Musikalisch-philosophische Live-Session (Junge Philosophie, Schauspiel Hannover)

10./11.05.2018 Gut zusammenleben angesichts gesellschaftlicher Konflikte – Wie geht das? (gemeinsam mit Prof. Dr. Jürgen Manemann, 101. Katholikentag Münster)

07.03.2017 Philosophie des Mutes (Philosophisches Café, ka:punkt Hannover)

 

 

Links

Junge Philosophie: „Protest und Bewegung – 50 Jahre 68er“ (Cumberlandsche Galerie Hannover, 07.06.2018)

Stimmen der Stadt: HipHop-Botschaften (Pavillon Hannover, 10.06.2015)